ÖAAB-Lehrer-Obmann Wolfgang Türtscher: Haben wir noch ein staatliches Schulsystem?
Utl: OECD ist für Bildung nicht zuständig!
„Seit etwa 15 Jahren wird unser Bildungssystem mit einer Reihe von Modevokabeln und externen Playern durcheinandergewirbelt, ohne dass ein erheblicher Nutzen bemerkbar wäre“, bringt Wolfgang Türtscher, der Obmann der Lehrerinnen und Lehrer in Vorarlberger ÖAAB, eine deutliche Verunsicherung der in der Schule Tätigen auf den Punkt. „PISA, Individualisierung und Personalisierung, Inklusion, Standards, TIMMS, PIRLS und internetbasierte Rückmeldeverfahren sind plötzlich die neuen Leitbilder, als „Vorgesetzte“ setzen sich die OECD, Andreas Schleicher, die Bertelsmann-Stiftung, die skandinavischen Länder, die Reformpädagogik, Lenkungsausschüsse und Projektkoordinatoren in Szene. Als „vorläufiger Höhepunkt“ dieser Entwicklung orientiert sich das „Vorarlberger Forschungsprojekt der Schule der 10- bis 14-Jährigen“ nicht etwa am Artikel 14 unserer Bundesverfassung („Schulwesen“) oder am § 2 des Schulorganisationsgesetzes („Aufgabe der österreichischen Schule“), sondern an den „Qualitätskriterien der OECD für erfolgreiche Schulsysteme“.
„Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, die OECD mit Sitz in Paris ist die „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ mit 34 Mitgliedern, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlt. Das ist die Nachfolgeeinrichtung der OEEC, deren Aufgabe der wirtschaftliche Wiederaufbau in Europa durch die Gelder des Marshallplans seit 1948 war. Sie hat also mit Bildung so viel zu tun wie die Bäckerinnung mit Klimapolitik“, hält Türtscher fest.
„Aufgabe der österreichischen Schulpolitik ist es, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Lehrenden unter geänderten gesellschaftlichen Bedingungen ihren Aufgaben nachkommen können. Insbesondere ist sicherzustellen, dass die Pflichtschullehrer in die Lage versetzt werden ungestört unterrichten und ihren Schülern etwas beibringen zu können. Natürlich hat Lehr-, Lern- und Methodenfreiheit zu gelten, was etwa in den Neuen Mittelschulen (NMS) durch die Abschaffung der Leistungsgruppen nicht mehr der Fall ist“, kritisiert Türtscher.
„Die in der Folge der PISA-Studien durchgeführten Reformen, die durch Standards, Tests und Kompetenzorientierung die Bildungsqualität und die Zahl der Abschlüsse heben sollten, sind gescheitert“, hält Türtscher fest. „Die österreichischen Schule soll sich an den Grundwerten der Schule orientieren, die sich im Artikel 14 der Bundesverfassung finden: Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz. Die Förderung der Tugenden Fleiß, Genauigkeit, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft könnte dabei nicht schaden. Das zu garantieren ist Aufgabe der österreichischen Politik – und der sollte sie sich schnellstmöglich widmen!“, verlangt Türtscher abschließend.